Vorwort

Eine Chronik soll nach den Worten unseres Bruders Jo­hann Wolfgang von Goethe (1749-1832) nur jener schreiben, dem die Gegenwart wichtig ist. Geschichte jedoch ist jene Vergangenheit, welche noch gegenwärtig im Bewußtsein weiterlebt, ist immer Erinnerung an einen fernen Alltag.

„Was wären wir ohne jene Werkleute, die vor uns am Bau arbeiteten, die das Fundament unseres Lebens schu­fen!“, heißt es in unserem schönen Trauerritual. Damit wir in Treue dieser Werkleute gedenken, die uns in das Licht des „Ewigen Ostens“ vorausgegangen sind, wid­men wir diese knappe Zusammenfassung einer in Vorbe­reitung befindlichen Publikation über „150 Jahre Frei­maurerei in Essen an der Ruhr“ allen Brüdern unserer guten Loge „Schiller“ im Orient von Essen.

Br: Oylar Saguner

Meister vom Stuhl 2003-2007

I. Zur Einleitung

Unsere gute Loge Schiller im Orient Essen ist aus der Loge Zur freien Forschung und Duldsamkeit hervorgegangen. Diese Loge entstand im Jahre 1919 und hatte nach zehn Jahren bereits 110 Mitglieder. Durch die Auflösung des deutschen Freimaurerbundes im Jahre 1928 schien die Trennung der deutschen Freimaurerei von der internationalen Freimaurerei vollzogen zu werden. Diesen Bestrebungen widersetzten sich 32 Brüder der Loge und traten dem weltweit verbreiteten Alten und Angenommenen Schottischen Ritus als Mitglieder bei. Durch diesen Schritt wurden sie von der damaligen Großloge zur Sonne in Bayreuth ausgeschlossen und somit im freimaurerischen Sinne irregulär. Sie schlossen sich daraufhin der österreichischen Grenzloge Schiller als Tochterloge an, übernahmen diesen Namen als Programm ihres Wirkens und suchten bei Großloge von Wien um Konstitution an, die sie auch umgehend im Jahre 1931 erhielten.

Nach dem Wiederaufleben der Logentätigkeit in Essen, wurde der Name Schiller wieder aufgenommen. Da es mit der „Freien Forschung und Duldsamkeit“ in der Vergangenheit doch wohl nicht so weit hergewesen war, verzichtete man auf den ursprünglichen Logennamen. Bewußt erinnerten sich die Brüder daher an den Namen Schiller, der auf die Freiheit des Geistes Bezug hat. Am 5. November 1948 erfolgte die Neukonstituierung durch Erlaß der Landesregierung in Düsseldorf.. Am 19. Juni 1949 gelang dann die Gründung der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland. Die Loge Schiller im Orient von Essen erhielt die Matrikel-Nr. 649. Vierzehn Stuhlmeister hatte die Loge seitdem, einige übten das verantwortungsvolle Logenamt sogar zweimal aus.

Die Unsterblichkeit der Ideale Schillers haben auch Kölner Brüder bewogen, eine Loge Schiller zur Unsterblichkeit zu gründen. Auch gibt es Bauhütten im Ausland, die den Namen unseres Namenspatrones angenommen haben.

Beschäftigt man sich als Freimaurer mit der Biographie und dem Werk Friedrich Schillers, taucht nahezu unvermittelt der Gedanke auf: War dieser zweifellos idealistisch gesinnte Mann, der von der Idee der Menschenverbrüderung so fasziniert war, auch Freimaurer? Ob er, wenn auch nur kurze Zeit, dem Freimaurerbund als Mitglied angehörte, ist noch immer umstritten. Um die Wahrheit zu sagen: Die meisten seiner Biographen sind sogar gegenteiliger Auffassung, da trotz vielfacher Bemühungen keine entsprechenden Logendokumente gefunden werden konnten.

Dieses Negativergebnis dürfte für eine positive Beantwortung unserer Frage jedoch gar nicht so sehr entscheidend sein. Dokumentarische Nachweise könnten in Verlust geraten, aus ideolo­gischen Vorbehalten vernichtet oder ein entsprechender Matrikeleintrag schlicht und einfach unterlassen worden sein, um den Bruder vor Nachteilen zu schützen. Gibt es dennoch Argu­mente, die eine Logenmitgliedschaft Schillers wahrscheinlich machen? Vielleicht gibt es gute Gründe der langen Liste berühmter maurerischer Namen einen weiteren hinzuzufügen, wozu auch gehört, daß Schiller mit dem freimaurerischen Gedankengut außerordentlich gut vertraut war und maurerischer Geist zweifellos auch sein Schaffen beeinflußte. Diesbezügliche Hinweise könnten sich auf biographisch feststellbare Tatsachen, aber auch auf Werkaussagen stützen. Zunächst jedoch zur Erinnerung einige biographische Anmerkungen zu unserem Thema…

II. Kurzbiographie

Geboren wurde Friedrich Schiller 1759 im schwäbischen Marbach als Sohn eines Feldschers im Offiziersrang. Der württembergische Herzog steckte gegen den erklärten elterlichen Willen den begabten Jungen für acht Jahre in seine Militär-Akademie auf der Solitude, der westlich Stuttgart gelegenenen Sommerresidenz, wo er Rechtswissenschaft und Medizin studierte und sich zu späteren Diensten verpflichten mußte. 1780 wurde er Militärarzt. Von Stuttgart aus fuhr er ohne herzogliche Erlaubnis nach Mannheim, um eine Aufführung seines Erstlingswerkes Die Räuber anzusehen. Das Theater, berichtete ein Zuschauer, glich einem Irrenhaus, so sehr war das Publikum hingerissen von dem Feuer, dem Schwung, der Freiheitsglut des Stückes. Doch Schillers Landesherr Carl Eugen war verstimmt, zumal auch die Schweizer sich durch einige Stellen des Werkes beleidigt fühlten. Kurzerhand verbot er Schiller das Komödieschreiben, wie er es nannte. Um solchen Fesseln und einer Bestrafung zu entgehen, floh der junge Dichter nach Mannheim, wurde dort aber im Stich gelassen, schlug sich recht und schlecht durch, kam dann im Jahre 1783 auf eine Weile als Theaterdichter nach Mannheim zurück, ging aber bald nach Leipzig und anschließend nach Dresden. 1787 kam er vorübergehend nach Weimar, arbeitete in Rudolstadt, wo er seine spätere Frau Charlotte von Lengefeld kennenlernte, bis er endlich durch Goethe eine Professur für Geschichte in Jena erhielt. Das war 1789, im ersten Jahr der Französischen Revolution. Zwei Jahre darauf brach er wegen Überarbeitung zusammen. Eine dreijährige Rente des Prinzen Friedrich Christian von Schleswig-Holstein-Augustenburg half ihm weiter. Wichtig wurde die Bekanntschaft mit dem jungen aufstrebenden Verleger Johann Friedrich Cotta (1764-1832), der dann die Zeitschriften Die Horen und Musenalmanach herausbrachte. Um die gleiche Zeit lernten sich Schiller und Goethe nach einer Zufallsbesprechung richtig kennen, arbeiteten zusammen an den Zeitschriften und schlossen jene künstlerische Freundschaft, die als klassisches Dioskurenpaar in die deutsche Literatur- und Geistesgeschichte eingegangen ist. Bekanntlich waren Goethe und Schiller einander ursprünglich antipathisch. Schiller rügte an Goethe ohne jede Paraphrase:

Dieser Mensch, dieser Goethe ist mir einmal im Wege […]. Öfters [um ihn zu sein] würde mich unglücklich machen: er hat auch gegen seine nächsten Freunde kein Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der Tat, er ist ein Egoist in höchstem Grade. Er besitzt das Talent, die Menschen zu fesseln, und durch kleine sowohl grosse Attentionen sich verbindlich zu machen, aber sich selbst weiß er immer frei zu halten […]. Ein solches Wesen sollten die Menschen nicht um sich herum aufkommen lassen. Mir ist er dadurch verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat.

Und Goethe? Er wußte an Schiller nicht mehr zu rühmen, als daß er sich durch seine Schriften einen Namen erworben und erklärte nachträglich ganz offen: Schiller war mir verhaßt. 1799 übersiedelte Schiller endgültig nach Weimar, arbeitete für das Theater und schrieb seine vollendetsten klassischen Dramen, die ihn als Meister der tragischen Form ausweisen. 1802 vom Kaiser in den Reichsadelsstand erhoben, ist er drei Jahre später als Hofrat von Schiller im Alter von 46 Jahren gestorben.

Schiller war seit seiner Flucht aus dem Herrschaftsbereich des württembergischen Herzogs Carl Eugen ständig von Freimaurern umgeben, seine engsten Freunde und Gönner gehörten dem Bund als aktive Mitglieder an. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die Namen Körner, Herder und Goethe. Insbesondere Christian Gottfried Körner, der ihn in dem relevanten Betrachtungszeitraum sehr beeinflußt hat und bei dem er einige Zeit wohnte, war ein engagierter Freimaurer, und auch der Weimarer Kreis, einschließlich des dortigen Herzogs Carl August war bekanntlich der Freimaurerei sehr verbunden. Auch geht Schiller in seinen Briefen und Aufzeichnungen vielfach auf maurerische Interna ein, alles Hinweise, die eine Logenmitgliedschaft zumindest glaubhaft erscheinen lassen.

III. Schillers Geisteshaltung

Freunde gehörten schon immer zu Schillers Lebensbedürfnissen, wie er auch umgekehrt gleichgesinnte Menschen stets mächtig anzog. Er war, wie alle anderen Menschen auch, ein Kind seiner Zeit. Leidenschaftlich hat er stets seine Sympathien für die Gedanken der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vertreten. Der Ausbruch der Französischen Revolution im Jahre 1789 mit einer fast unvorstellbaren Begeisterung für die freiheitlichen Gedanken trafen seinen innersten Nerv. Nicht nur die Jugend, sondern nahezu das ganze geistige Deutschland begrüßte die neuen Ideen als Offenbarung. Am 26. August 1792 ernennt ihn die Pariser Nationalversammlung zum Ehrenbürger der französischen Republik, obschon er mit seiner Kritik am Verlauf der Revolution nicht zurückhält.

Äußerlich nicht besonders vom Glück begünstigt, angewiesen auf einen schwachen Körper, hat ihn die Kunst aufrechterhalten und über Kummer, Krankheit und Sorgen emporgehoben. Seine Kunst war nicht die Leidenschaft, sondern die Schönheit. So hat er sich durch Sturm und Drang hindurchgerungen bis zur Höhe klassischen Empfindens, wo aller Kampf schweigt, wo das Leben sich der Schönheit und dem Ideal unterordnet. Jahrelang hat er über das Wesen des Schönen und des Erhabenen nachgedacht, nicht geruht, bis er den von Kant übersehenen objektiven Begriff erreicht hatte. Auf den verschiedensten Wegen hat er den Zwiespalt zwischen dem Ideal und dem Leben zu versöhnen gesucht. Seine klassischen Dramen umgeben das Leben mit einem verklärenden Glanz, reine Schönheit läßt selbst den Ernst des Lebens in der sonnigen Heiterkeit der Kunst aufgehen. Er hat den Weg gewiesen, auf dem das Menschengeschlecht durch ästhetische Erziehung veredelt und gehoben werden könnte, er hat dem einzelnen den Weg gezeigt, auf dem er dem harten Drang des Lebens in das Reich des Idealen fliehen und so, wenn auch körperlich unter dem Leben leidend, geistig über das Leiden siegen und herrschen könne. In ihm glühte diese Liebe wie eine heilige Flamme; sein Talent war ein unschätzbares Geschenk der Götter, ganz im Sinne der Griechen, die in der Kunst ein ideales Leben sahen. In ihm hat das Ideal über das Leben, über Lüge, Neid und Bosheit der Feinde, über Krankheit, Kummer, Gram und Unglück gesiegt, alles Gedanken, die der maurerischen Auffassung nahestehen. Und diese Entwicklung vollzog sich mit einer Hast und Energie, Überstürztheit und Fieberhaftigkeit, die aus dem dunklen Vorgefühl floß, wenig Zeit zu haben, was ihn mit zahlreichen anderen Frühvollendeten verbindet, mit Raffael, Mozart, Schubert.

IV. Der Leipzig-Dresdener Freundeskreis

Nach neuntägiger beschwerlicher Reise traf Schiller am 17. April 1785 in Leipzig ein. Noch nie hatte er eine so günstige Atmosphäre, ein so freudiges Echo gefunden wie in jenem kultivierten Kreis, in den er nun eintrat: dem Körnerschen Freundeskreis. Hierzu gehörten neben Körner selbst der junge angehende Schriftsteller Ludwig Ferdinand Huber, seine Braut, die begabte Malerin und Zeichnerin Dora Stock, und ihre Schwester Minna, die bald Körners Frau werden sollte; der junge Verleger Georg Joachim Göschen und andere. Schiller gewann schnell die Liebe aller, und eine enthusiastische Freundschaftsschwärmerei kam auf. Anfang Mai zog man in das nahegelegene Dorf Gohlis, und Schiller begann wieder an seinem Don Carlos und für seine Zeitschrift Thalia zu arbeiten. Im September folgte Schiller Körner nach Dresden. So oft es die Jahreszeit erlaubte, hielt man sich auf Körners Weinberg in Loschwitz auf, und in ständigem Zusammensein und Austausch lebte man jenen überschwenglichen Gefühlen, die das Lied an die Freude besingt.

Göschen: Georg Joachim Göschen (1752-1828); erlernte seinen Beruf als Verleger in einer Gelehrtenbuchhandlung zu Dessau und gründete 1785 in Leipzig ein eigenes Geschäft. Durch seine Verbindungen mit Goethe (1786), Wieland (1787) und vielen anderen der damals berühmten Schriftsteller wurde sein Verlag bald zum angesehensten in Deutschland. Gründete auch eine eigene mit dem Verlag verbundene Buchdruckerei.

Huber: Ludwig Ferdinand Huber (1764-1804), Schriftsteller, unterhielt seit 1784 einen Briefwechsel mit seinem Duzfreund Schiller

Dora Stock (1760-1832), Zeichnerin und Malerin, Tochter des Kupferstechers F.M. Stock, der Goethe in Leipzig im Radieren und Ätzen unterrichtete. Sie war eine wegen ihrer Anmut geliebte und wegen ihrer geistigen Lebendigkeit geschätzte Hausgenossin im Körner-Schillerschen Freundeskreis. Kulturge-schichtlich bedeutsam wurde sie durch ihre Silberstiftzeichnung von Mozart (April 1789), eine der gelungensten Porträtdarstellungen des Komponisten überhaupt.

V. Christian Gottfried Körner

Einen unerschütterlich redlichen und hilfreichen Freund fand Schiller in der Person des Gottfried Christian Körner. Der drei Jahre ältere Körner studierte Rechtswissenschaften in seiner Vaterstadt Leipzig und in Göttingen, wurde 1778 Privatdozent bei der juristischen Fakultät in Leipzig und erhielt 1783 einen Ruf als Konstistorialrat für Kirchen- und Schulsachen bei dem Oberkonsistorium in Dresden; 1815 ging er als Staatsrat und Mitglied des Ministeriums der geistlichen Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten und des Oberzensurkollegiums nach Berlin Er war ein gereifter, gebildeter Mann, für die Künste empfänglich, musikalisch, philosophisch interessiert, und einer der ersten Anhänger des Königsberger Philosophen Immanuel Kant. Der Dichtung Schillers kam er nicht allein mit einer tiefen Empfindung entgegen, sondern er konnte sie auch inhaltlich und ästhetisch gründlich und anregend beurteilen. Da Körner nicht unvermögend war, sah er es als seine Pflicht an, den Freund möglichst unvermerkt über wirtschaftliche Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Sein durch Innigkeit und Geistesadel ausgezeichnetes Freundschaftsverhältnis mit Schiller läßt beide Männer in ihrer Größe erscheinen.

Körner wurde 1777 in die Loge Minerva zu den drei Palmen in Leipzig aufgenommen, und galt als Muster eines Maurers, und als solcher hat er auch stets innerhalb des Freimaurerbundes gewirkt. Am 15. Dezember 1813 wechselte er zur Loge Zu den drei Schwertern in Dresden und übernahm bis 1815 das Amt eines Meisters vom Stuhl. Eine Rede Körners Ideen über die Freimaurerei findet sich in der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Berlin. Körner genoß in Freimaurerkreisen einen außerordentlich guten Ruf und kein durchreisender Bruder unterließ es ihm seine Aufwartung zu machen. Auf diese Art machte er auch die Bekanntschaft Mozarts, als dieser im April 1789 auf seiner Reise nach Potzdam und Berlin in Dresden Station machte. Durch den Freimaurer und Sekretär des geheimen Kriegsratskollegium Johann Leopold Neumann wurde Mozart in Körners Haus eingeführt, das er nachweislich mehrfach besuchte. Bei einer dieser Gelegenheiten, am 16. oder 17. April 1789 entstand die wohl lebensechteste Porträtdarstellung des Komponisten, die bekannte Silberstiftzeichnung auf Elfenbeinkartin, geschaffen von Körners Schwägerin Dorothea Stock. Leider haben sich die Lebensbahnen des Komponisten und Dichters nicht gekreuzt, da Schiller gerade zu dieser Zeit als Professor für Geschichte an die Universität Jena berufen wurde.

Der auch schriftstellerisch tätige Christian Gottfried Körner, *2. Juli 1756 in Leipzig, +13. Mai 1831 in Berlin, war, wie auch seine Gattin Minna geb. Stock (1762-1843) mit Goethe befreundet; Vater des Freiheitsdichters Theodor Körner (1791-1813). Bedeutend sein vierbändiger Briefwechsel mit Schiller. Körners Mutter-Loge Minerva zu den drei Palmen wurde am 20. März 1741 als Aux trois Compas gegründet und wechselte mehrfach den Namen: im Dezember 1741: Zu den drei Zirkeln, 1747 Minerva zum Zirkel, 1766 Minerva zu den drei Palmen. Loge Zu den drei [goldenen] Schwertern in Dresden bestand seit dem Jahre 1739 und war somit eine der ältesten Logen Deutschlands.

Soweit einige relevante biographische Anmerkungen. Wir kommen damit zum eigentlichen Thema dieses Vortrages: „War Schiller Freimaurer?“

VI. War Schiller Freimaurer?

Die Frage, ob Schiller Freimaurer war, ist oft gestellt worden, da in seinen Werken maurerische Anschauungen ihren Ausdruck finden. Auch ist er vielfach aufgefordert worden, dem Bund beizutreten. In einem Brief an Körner schreibt Schiller, daß Johann Joachim Christoph Bode ihn habe veranlassen wollen, dem Freimaurerbund beizutreten. Körner jedoch riet ihm zu diesem Zeitpunkt ab, da Bode ihn nur für die Illuminaten werde gewinnen wollen. Der Illuminatenorden war ein radikal-aufklärerischer Geheimbund, der die Veränderung politischer Verhältnisse anstrebte. Zwar gehörte neben Herder und Goethe auch Herzog Carl August von Weimar diesem Bund an, doch trennten sich diese Männer jedoch umgehend von dieser Gesellschaft und haben, wenigstens Goethe, nur eine einzige derartige Versammlung besucht.

Johann Joachim Christoph Bode (1730-1793), Übersetzzer und Lehrer der neueren Sprachen, stand in Verbindung mit zahlreichen bedeutenden Männern seiner Zeit und gehört den eifrigsten und hervorragendsten deutschen Freimaurern des 18. Jahrhunderts.

Von Schiller selbst liegen keine Zeugnisse über eine Logenzugehörigkeit vor. Fest steht nur, daß er im Jahre 1787 dem Freimaurerbund noch nicht angehörte, denn er schrieb im zehnten Brief über Don Carlos:

Bin weder Illuminat noch Maurer, aber wenn die Verbrüderungen einen moralischen Zweck miteinander gemein haben, und wenn dieser Zweck für die menschliche Gesellschaft der wichtigste ist, so muß er mit demjenigen, den Marquis Posa sich vorsetzte, mindestens sehr nahe verwandt sein. Was jene durch eine geheime Verbindung mehrerer durch die Welt zerstreuter tätiger Mitglieder zu erreichen suchen, will der letztere durch ein einziges Subjekt ausführen.

Mit anderen Worten: Schiller stellt in der literarischen Figur des Marquis Posa aus den weltanschaulichen Drama Don Carlos die Idealfigur eines Freimaurers vor.

Wenn Schiller schließlich doch noch dem Freimaurerbund beigetreten ist, könnte er theoretisch nur einer Loge in Rudolstadt, Jena oder Weimar als Mitglied angehört haben. Die beiden letztgenannten Orte sind auszuschließen, da die Logen in Jena ihre Arbeiten bereits im Jahre 1764 eingestellt hatten und die berühmte Loge Amalia in Weimar, der auch Carl August von Weimar, Herder und Goethe angehörten, während Schillers dortigem Aufenthalt inaktiv war. Sie war seit dem Jahre 1782 untätig und nahm erst im Jahre 1808, also nach Schillers Tod, die Arbeiten wieder auf. In Frage kommt daher nur die Loge Günther zum stehenden Löwen in Rudolstadt. Diese Loge wurde am 21. September 1785 gegründet und gehörte als Mitgliedsloge dem Eklektischen Freimaurerbund in Frankfurt am Main und Wetzlar an. In den Jahren 1793 bis 1801 stellte sie ihre Arbeit ein. Im Jahre 1839 schließlich wurde sie aufgelöst. Für Schillers Mitgliedschaft in dieser Bauhütte sprechen einige zeitgenössische Aussagen:

Bereits 1921 veröffentlichte Stephan Kekule von Stradonitz in der in Berlin erscheinenden Zeitschrift Herold ein Gedicht des Freimaurers Anton von Klein mit der Überschrift Des Br[uder] Schillers Verewigung. Anton von Klein war kurfürstlicher Hofrat, Sprachforscher, Professor der Dichtkunst und Philosophie und ein Freund Schillers aus dessen Mannheimer Zeit. Er war Mitglied der Mannheimer Loge Carl zur Eintracht.

Anton von Klein (1748-1810), Dichter und Librettist, Freund Schillers aus dessen Mannheimer Zeit. War nach der Auflösung des Jesuitenordens durch die Bulle Dominus ac Redemptor noster vom 16. August 1773 durch Papst Clemens XIV., dem er angehört hatte, in den Staatsdienst getreten und Professor der Dichtkunst und Philosophie in Mannheim geworden. Seinen Singspieltext Günther von Schwarzburg hatte 1776 Ignaz Jakob Holzbauer, Hofkapellmeister in Mannheim, vertont (Premiere am 5.1.1777, Mannheim), das erste und erstaunlich gut gelungene Beispiel einer deutschen Oper. Mozart, der das Werk in Mannheim kennenlernte, war von der Musik, weniger jedoch vom Text begeistert. Klein schrieb außerdem ein Drama Rudolph von Habsburg und übersandte 1785 den Text seinem Freimaurerbruder Mozart nach Wien, der jedoch hinhaltend antwortete. Klein arbeitete dann das Libretto zu einem 1787 erschienenen Trauerspiel um.

In einem Brief aus dem Jahre 1839 teilten zwei Rudolstädter Freimaurer das Eingehen ihrer Loge Günther zum stehenden Löwen mit und beklagten damit das Los ihrer Bauhütte, die durch die Aufnahme eines Schiller geehrt worden sei. Aufgrund dieser Briefveröffentlichung ging der Freimaurer-Historiker Ludwig Keller der Familientradition nach und befragte Schillers Urenkel Alexander von Gleichen-Rußwurm, der bestätigte, daß er zwar keine Urkunde voller Beweiskraft in Händen habe, daß aber Schiller nach der Familientradition Freimaurer gewesen sei. Danach habe der damalige Stuhlmeister der Loge Günther zum stehenden Löwen, Wilhelm Heinrich Karl Freiherr von Gleichen-Rußwurm (den späteren Schwiegervater von Schillers Tochter Emilie Henriette Friederike, 1804-1873) den Dichter der Loge zugeführt, diese Angelegenheit sei aber geheimgehalten worden. Für diese Version spricht auch, daß Karl Friedrich Ludwig Freiherr von Schiller (1793-1857), württembergischer Oberförster in Lorch, ein Sohn des Dichters, im Jahre 1815 in die Weimarer Loge Amalia aufgenommen wurde.

Freimaurerische Bezüge sind in Schillers Werken nahezu aller Schaffensperioden vielfach zu finden. Wir beschränken uns auf zwei bekannte Werke Schillers, auf den Don Carlos und auf die bekannte Ode An die Freude.

VII. Das weltanschauliche Drama „Don Carlos“

Einen sehr bedeutsamen Schritt als Dramatiker tat Schiller mit seinem Don Carlos, den er im Laufe von fünf Jahren von einem Liebes- und Eifersuchtsdrama zu einem Weltanschauungs- Ideen- und politischen Drama erweiterte. Schiller beginnt in diesem Stück seine naturalistische Sturm- und Drang-Epoche zu überwinden und findet den Weg zum Idealismus. Es ging auf den Nerv der Zeit, es focht ihren Geisteskampf in vorderster Linie, die große Diskussion um Herrschaft und Freiheit. An die Stelle der Prosa tritt nunmehr die Vers-Dichtung. Mögen die Verse zuweilen auch noch stocken, sich manchmal in bloßes Schönreden verlieren – das tritt zurück hinter dem Glanz echter Begeisterung, der über dem ganzen Werk liegt. Schillers Leidenschaft für die Freiheit machen das berühmte Wort: Sire, Geben Sie Gedankenfreiheit! gleichsam zu Flammen, die hineinleuchten in die spannungsvolle Wirklichkeit der Weltverhältnisse und die Generationen waren begeistert. Der Don Carlos hat auch viele weitere Anklänge an die Freimaurerei und machen das Werk zu einer Fortsetzung von Lessings Nathan der Weise, ein weiteres Werk, in dem der Freimaurer seines Geistesgut am reinsten und überzeugendsten dargestellt wiederfindet.

VIII. Die „Ode an die Freude“

Kein anderes Werk Schillers ist heute so populär und so oft in Musik gesetzt worden wie die Ode An die Freude, sein berühmtestes Gedicht, das die Krönung der 9. Sinfonie werden sollte, ihre weltgültige musikalische Formulierung. Alle Welt kennt Beethovens aufwühlende Melodie, doch nur wenige Schillers Worte. Sie beginnen mit der Aufforderung zur Brüderlichkeit unter allen Menschen und enden mit der Ermahnung zu Männerstolz vor Königsthronen:

Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum,
Deine Zauber binden wieder, was der Mode Schwerdt getheilt.
Bettler werden Fürsten Brüder. wo dein sanfter Flügel weilt.

Chor:

Seid umschlungen Millionen! Diesen Kuß der ganzen Welt!
Brüder – überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen.

Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein,
Wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein!
Ja – wer auch nur eine Seele sein nennt auf dem Erdenrund!
Und wer´s nie gekonnt, der stehle weinend sich aus diesem Bund!

Chor:

Was den großen Ring bewohnet, huldige der Sympathie!
Zu den Sternen leitet sie, wo der Unbekannte thronet […]

Festen Mut in schweren Leiden, Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden, Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen, Brüder, gält es Gut und Blut!
Dem Verdienste seine Kronen, Untergang der Lügenbrut!

Chor:

Schließt den heil´gen Zirkel dichter, schwört bei diesem goldnen Wein,
Dem Gelübde treu zu sein, schwört es bei dem Sternenrichter!

Man muß vermutlich kein Freimaurer sein um die maurerische Zweckbestimmung dieser Poesie zweifelsfrei erkennen zu können. Bis in die kleinsten Einzelheiten entstammt der Gedankengang, das Vokabular und der Sprachduktus der Logenwelt. Wenn nicht schon vorher durch den vertrauten Umgang mit befreundeten Freimaurern vorbereitet, muß Freund Körner den Dichter mit diesem Gedankenkreis innig vertraut gemacht haben. Wenn man die zahlreichen maurerischen Liedertexte und Gedichte und sonstige Texte mit dem Schillerschen Poem vergleicht, ist die Übereinstimmung geradezu verblüffend. Der Text entstand im September 1785 in Dresden und war mit der Musik von Christian Gottfried Körner für maurerische Tafellogen bestimmt. An seinen Verleger Göschen schrieb Schiller im November 1785: Das Gedicht An die Freude ist von Körnern sehr schön komponiert. Wenn Sie meinen, so können wir die Noten, welche nur eine halbe Seite betragen, dazu stechen lassen? Das Lied wurde in Logenkreisen sofort begeistert aufgenommen und fand schnell weitere Verbreitung, wie jener Brief beweist, den ein Bruder von Zerboni aus Glogau im Auftrag seiner Loge im Dezember 1792 an Schiller schrieb:

Die hiesige Maurerloge zur goldenen Himmels-Kugel hat mir den Auftrag gemacht […] in ihrem Namen für die erhaben frohen Empfindungen zu danken, welche die Absingung Ihres Liedes an die Freude bei ihren Tafellogen bisher in jedem Individio erweckt hat, und Ihnen zugleich zu melden: daß wir ohne Rücksicht, ob Sie vielleicht unseres Bundes sind oder nicht, nie unterlassen, bei jedem maurerischen Feste mit inniger Bruderliebe Ihrem Genius für die immerwährende Energie Ihres Geistes eine Libation zu bringen.

Die Glogauer Brüder waren offenbar der Auffassung, Schiller sei ebenfalls Freimaurer und gedachten des verehrten Bruders in Form einer Libation (Trankopfer), d.h. sie leerten auf sein Wohl die Gläser, ein beliebtes Ritual im Rahmen einer maurerischen Tafelloge.

Der Text allerdings wurde von Schiller nach dem Ausbruch der Französischen Revolution etwas entschärft. Aus Was der Mode Schwerdt geteilt wurde Was die Mode streng geteilt; statt Bettler werden Fürsten Brüder (eine typisch maurerische Redewendung), hieß es dann: Alle Menschen werden Brüder. Es waren offensichtlich Kompromisse an die Obrigkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Schiller neutralisierte und paßte sich nach dem Ausbruch der Französischen Revolution dem Zeitgeist an.

Und weil es so gut in die heutige Zeit paßt und auch zu diesem Thema: Da hat in jüngerer Zeit der Bruder Marcel Valmy (gest. 2001) von der Loge Zur Kette im Orient München zur Beethoven-Melodie Freude schöner Götterfunken eine recht gelungene neue Europa-Hymne verfaßt, die wie folgt lautet:

Schließt den Bund der Vaterländer, gebt Europa Ziel und Sinn!
Knüpft der Freundschaft feste Bänder, über alle Grenzen hin!
Schwestern, Brüder aller Zungen, sprecht hinfort in einem Geist!
Jedes Werk ist wohlgelungen, wo sich Einigkeit erweist!
Schließt den Bund der Menschenherzen, wider die Vergangenheit!
Allen Irrtum, alle Schmerzen, alle Wunden heilt die Zeit!
Wenn wir uns die Hände reichen, treu zu wahrem Menschentum,
Werden alle Schatten weichen, zu Europas höh´rem Ruhm!

Zu den bedeutendsten und bekanntesten Werken Beethovens gehört unstreitig seine Neunte Sinfonie. Diese gewaltige kompositorische Leistung wird gekrönt durch Schillers humanistische Botschaft, heute als Song of Joy versimpelt und vermarktet. Sein ganzes Leben lang dachte er daran, Schillers Hymne an die Freude in Musik zu setzen. Schon mit dreiundzwanzig Jahren skizzierte er einen Entwurf zu den Versen. Doch als er begann, sein gewaltiges Werk zu komponieren, änderte er nur die erste Strophe des Dichters nicht ab. Dagegen entnahm er den ersten Teil der zweiten Strophe für den Chor der sechsten Strophe von Schiller und den zweiten Teil der dritten Strophe. Warum diese Neugestaltung, die Schillers ganze Anordnung umwirft? Dafür gibt es einen guten Grund. Für Beethoven behalten von allen beredten Worten des Dichters nur drei Begriffe die Oberhand, das Motto der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Das Ideal des großen Musikers ist es, eine geradezu himmlische Freude zu schaffen, aber wer diese Freude zu fühlen vermag, kann ohne Brüderlichkeit mit seinen Mitmenschen nicht leben, und an diese Empfindung ist wiederum die Entwicklung der Beziehungen zum All und zum Schöpfer gebunden. Das ist die einzige Idee Beethovens, an der er festhält und die er auf seine Weise ausdrückt. Die Sinfonie geht mit dem großen Umsturz der Seele zu Ende: Freude, Freude, Freude – die einzige Kraft, die es dem Menschen erlaubt, weiter als je auf dem Weg zur Vollkommenheit fortzuschreiten. Den Aufruf zur Besinnung auf die höchsten menschlichen Ideale hatte Schiller den Freimaurern zugedacht. Sie enthält die Kerngedanken, die neben Schiller auch Beethoven zu den weltanschaulichen Leitgedanken seines Lebens gemacht hat. Die Sinfonie mit Schillers Versen wurde damit zur Kantate, zu einer Hymne der Menschheitsverbrüderung; feierliche, von mildem Ebenmaß erfüllte Weisen, die so recht das eindeutige Verhältnis des Menschen zur Welt und zur Menschheit selbst ausdrücken, jenes Verhältnis, das den klassischen Menschen auszeichnet: Strenge gegen sich selbst, Milde gegen den Mitmenschen und der Wille, sein Schicksal selbst zu meistern. Also das, was wir einen harmonischen, festgeformten, charaktervollen Menschen nennen.

IX. Ehrenbürger der französischen Republik

Schillers unerschrockenes Eintreten für die freimaurerischen Postulate, für die Ideale der Gedankenfreiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit haben dazu beigetragen, daß die französische Nationalversammlung am 26. August 1792, im vierten Jahr der Freiheit erklärte:

In Anbetracht, daß die Männer, die durch ihre Schriften und durch ihren Mut der Sache der Freiheit gedient und die Befreiung der Völker vorbereitet haben, von einer Nation, welche ihre Einsicht und ihr Mut frei gemacht hat, nicht als Ausländer angesehen werden können;

In Anbetracht daß, wenn fünf Jahre Aufenthalt in Frankreich für einen Ausländer genügen um den Titel eines Französischen Bürgers zu erhalten, dieser Titel mit weit größerem Rechte denen zukommt, die, auf welchem Boden sie auch wohnen, ihren Arm und ihr Bestreben der Verteidigung der Sache der Völker gegen den Despotismus der Könige, der Beseitigung der Vorurteile in der Welt und der Erweiterung der Bereiche menschlicher Erkenntnis gewidmet haben;

In Anbetracht daß, wenn schon nicht erlaubt ist zu hoffen, daß die Menschen eines Tages vor dem Gesetz wie vor der Natur nur eine einzige Familie, eine einzige Gemeinschaft bilden, darum die Freunde der Freiheit und allgemeinen Brüderlichkeit einer Nation nicht minder wert sein dürfen, welche den Verzicht auf jede Eroberung und den Wunsch nach Verbrüderung mit allen Völkern erklärt hat;

In Anbetracht schließlich, daß in dem Augenblick da ein Nationalkonvent daran geht, das Schicksal Frankreichs zu entscheiden und vielleicht das des Menschengeschlechts zu begründen, es einem großmütigen, freien Volke ansteht, alle Geister aufzurufen, und das Recht, an diesem großen Werke der Vernunft mitzuwirken, den Männern zuzusprechen, die durch ihre Gesinnungen, ihre Schriften und ihren Mut sich höchst würdig erwiesen haben:

Den Titel eines Französischen Bürgers zu verleihen an Doktor Joseph Priestley, an Thomas Payne, an Jérémy Bentham, an William Wilberforce, an Thomas Clarkson, an Jacques Mackintosh, an David Williams, an N. Gorani, an Anarchis Cloots, an Corneille Pauw, an Joachim-Henri Campe, an N. Pestalozzi, an Georges Washington, an Jean Hamilton, an N. Madison, an H. Klopstock, und an Thadée Kosinsko.

Ein Abgeordneter beantragt am gleichen Tag, daß Herr Gille [Schiller], deutscher Schriftsteller, in die Liste derer aufgenommen werde, denen die Nationalversammlung soeben den Titel Französischer Bürger zugesprochen hat; dieser Antrag wird angenommen.

Im Namen des Volkes gibt die provisorische Regierung bekannt, und verfügt an alle Verwaltungs- und Gerichtsbehörden, Gegenwärtiges zu registrieren, zur Kenntnis zu nehmen, öffentlich bekannt zu geben und anschlagen zu lassen in ihren Départements und Zuständigkeitsbereichen, und es als Gesetz zu vollziehen. Zur Beglaubigung dessen haben wir Gegenwärtiges unterzeichnet und mit dem Staatssiegel versehen. Zu Paris, am sechsten des Monats September siebzehnhundertzweiundneunzig, dem vierten Jahr der Freiheit.

Gezeichnet Claviére. Gegengezeichnet Danton. Und gesiegelt mit dem Staatssiegel.
Dem Original gleichlautend ausgefertigt. Danton [Im Original französisch]

Schiller wird mit folgendem Schreiben des französischen Innenministers vom Beschluß der Nationalversammlung verständigt:

Paris, 10. 10. 1792, 1. Jahr der Französischen Republik

Ich habe die Ehre, mein Herr, Ihnen in der Anlage einen mit dem Staatssiegel ausgefertigten Abdruck des Gesetzes vom 26. August zu übersenden, welches mehreren Ausländern den Titel Französischer Bürger verleiht.

Durch Verordnung vom 9. September hat die Nationalversammlung die Regierung beauftragt, Ihnen dieses Gesetz zu übermitteln; ich komme dem hierdurch nach, indem ich Sie bitte von der Genugtuung überzeugt zu sein, die ich empfinde, bei dieser Gelegenheit der Staatsminister zu sein und meine persönlichen Empfindungen mit denen zu verbinden, die Ihnen ein großes Volk in der Begeisterung der ersten Tage seiner Freiheit versichert.

Ich bitte Sie, mir den Empfang des Briefes zu bestätigen, damit die Nation gewiß sein kann, Sie haben das Gesetz erhalten und rechnen die Franzosen gleichermaßen zu Ihren Brüdern.

Der Minister des Inneren der Französischen Republik / Roland [Im Original französisch]

Die neuen Ehrenbürger der französischen Nation waren fast durchweg Freimaurer, wenn eine zweifelsfreie Logenmitgliedschaft wegen der unbefriedigenden Quellenlage auch nicht in jedem Falle dokumentiert werden kann:
Jérémy Bentham: Jeremy Bentham (1748-1832) engl. Philosoph, gilt als Begründer des Utilitarismus, eine philosophische Anschauung, die die den Zweck des menschlichen Handelns im Nutzen sieht.
Joachim-Henri Campe: Joachim Heinrich Campe (1746-1818) deutscher Pädagoge, Freimaurer, 1777 in die Loge Balduin zur Linde i.Or: Leipzig aufgenommen, dann Absalon zu den drei Nesseln i.Or: Hamburg.
Thomas Clarkson: Thomas Clarkson (1760-1846) engl. Politiker, bekämpfte die Sklaverei.
Anarchis Cloots: Jean Baptiste Baron von Cloots (1755-1794), Kosmopolit und Republikaner; bereiste unter dem Namen Anarchasis einen großen Teil Europas und gab für seine philantropischen Bestrebungen große Summen aus. Die Vereinigung aller Völker und Menschen in eine allgemeine Familie wurde dabei mehr und mehr das letzte Ziel seiner kosmopolitischen Bestrebungen; es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß er ebenfalls dem Freimaurerbund als Mitglied angehörte.
N. Gorani: Guiseppe Gorani (1740-1819), ital. Politiker und Schriftsteller
Jean Hamilton: Alexander Hamilton (1757-1804), amerikanischer General und Staatsmann, neben Washington der bedeutendste Politiker der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, die Verfassung der USA ist zum größten Teil sein Werk; Freimaurer.
H. Klopstock: Friedrich Gottlob Klopstock (1724-1803) deutscher Dichter, Freimaurer, Mit- glied der Loge Zu den drei Rosen i.Or: Hamburg, in die auch Lessing aufgenommen wurde.
Thadée Kosinsko: Tadeusz Kosciuzko (1746-1817) polnischer Feldherr und Freiheitskämpfer, leistete Kriegsdienste in der Armee Washingtons, Freimaurer.
Jacques Mackintosh: James Machintosh (1765-1832), Jurist, Politiker, Philosoph und Historiker; berühmter Parlamentsredner und Justizreformer.
N. Madison: James Madison (1751-1836) amerikanischer Staatsmann, 4. Präsident der USA (1809-1817), Freimaurer.
Corneille Pauw: Cornelius von Pauw (1739-1799) holländischer Schriftsteller und Philosoph
Thomas Payne: Thomas Payne (1737-1809) engl.-amerikan. Schriftsteller und Politiker, Freimaurer; wurde durch seine Einwirkung auf die nordamerikanische und französische Revolution berühmt, Verfasser des Buches The rights of man, das die Ideen der Französischen Revolution gegen die Kritiker verteidigte; ging nach Frankreich, wo das Département Pas-de- Calais ihn 1792 in den Nationalkonvent abordnete, Robbespiere ließ ihn 1793 ausstoßen und verhaften, erhielt nach einer Haft von 14 Monaten die Freiheit und seinen Sitz im Konvent zurück; ging 1802 wieder in den USA.
N. Pestalozzi: Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1825) schweizerischer Pädagoge und Sozialreformer, Freimaurer und Illuminat, Mitbegründer der Züricher Filiale des Illuminatenordens.
Doktor Joseph Priestley: Joseph Priestley (1733-1804), engl. Theologe, Philosoph und bedeutender Naturforscher, isbesondere auf dem Gebiet der Chemie: Entdecker des Sauerstoffs, des Kohlendioxyds usw.
Georges Washington: George Washington (1732-1799) amerkan. General im Unabhängigkeits- krieg, erster Präsident der USA; Freimaurer, 1752 in die Fredericksburg Lodge Nr.1 in Virgi- nien aufgenommen, 1788 Stuhlmeister der Loge Alexandria in Virginien.
William Wilberforce: William Wilberforce (1759-1833) engl. Philantrop und Politiker; setzte sich im engl. Parlament vehement für die Abschaffung der Sklaverei ein.
David Williams: Jonathan Williams (1750-1815) amerikanischer Soldat und Ingenieur.

X. Wurde Schiller von Freimaurern ermordet?

Der Name Mozart wurde bereits erwähnt, gewiß nicht zufällig, denn bereits die äußeren Lebensumstände der beiden Genies Mozart und Schiller bieten viel des Ähnlichen. Beider Jugend vergeht im Hofdienst, der hier wie dort ein gewaltsames Ende findet, und zwar sind es die jungen Männer selbst, die in leidenschaftlichem Freiheitsdrang der unwürdigen Knechtschaft ein Ende machen. Wie Mozart dem Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus von Colloredo, so stand der Dichter der Räuber dem Herzog Carl Eugen von Württemberg gegenüber und in beiden Fällen kannten die fürstlichen Dienstherren ganz gut den Wert ihrer jungen Künstler. Hinausgestoßen in ein Leben, müssen beide alle Kraft aufbieten, um sich über Wasser zu halten. Früh hält die Krankheit ihren Einzug in den von Jugend auf geplagten und erschöpften Körper, und in raschem Schaffen eine Fülle des Schönsten und Edelsten erzeugend, durchrasen sie die letzte Phase ihres kurzen Lebens. In Mühe und Arbeit, in Krankheit und Erschöpfung ist beiden der größte Teil des Lebenszeit vergangen. Ja, eine seltsame Ähnlichkeit läßt wie Mozart auch Schiller ein unwürdiges Begräbnis finden. Und noch etwas: Beide sollen von Freimaurern ermordet worden sein.

Seit mehr als zwei Jahrhunderten geht das Gerücht über Mozarts unnatürliches Ende durch die Welt. Kein Wunder, daß derartige Thesen von Freimaurergegnern begierig aufgenommen und für ihre Zwecke propagiert wurden und immer noch werden. Aber auch Schiller soll das gleiche Schicksal erlitten haben, an dem auch Goethe beteiligt gewesen sein soll. Bereits in der nach dem ersten Weltkrieg erschienenen Turnzeitung des völkischen deutschen Turnverbandes wurde diese Ermordung in folgender Weise geschildert:

Schiller war Mitglied des Illuminatenordens, ebenso Johann Heinrich Voß, Goethe, Königin Luise [von Preußen], Prinz Louis Ferdinand und andere. Durch die starke Betonung des germanischen Gedankens der persönlichen Freiheit machte Schiller sich bei dem Ordensoberen mißliebig. Besonderen Anstoß erregte der „Geisterseher“ wegen Verrats der Ordensgeheimnisse. Schiller wurde ernsthaft verwarnt, schrieb aber den ebenso anstößigen „Wilhelm Tell“. Als nun der „Ordensspion“ Voß erfuhr, daß der Dichter am „Demetrius“ arbeite, beschloß der Orden, Schiller zu töten. Goethe wußte darum, durfte aber mit Rücksicht auf sein eigenes Leben den Freund nicht warnen. Er weinte eines Nachts lange vor des Freundes Hause, konnte ihn aber nicht retten. Die Ermordung geschah am 9. Mai [1805] Schiller wurde in unwürdigster Form im Kassengewölbe [auf dem Jakobusfriedhof] beigesetzt, noch 1826 widersetzte sich der Orden der Überführung in die Fürstengruft.

An dem ganzen Bericht stimmt zu gut wie nichts. Die Königin Luise kann dem reinen Männerorden nicht als Mitglied angehört haben. Voß war zwar Freimaurer, sein Name taucht jedoch in keiner Illuminatenliste auf. Goethe sah Schiller am 28. April zum letztenmal; von dieser Begegnung kehrte er in sein Haus zurück und erkrankte selbst ernsthaft an einer Kolik und war zu dieser Zeit so krank, daß es niemand wagte, ihm Schillers Tod mitzuteilen. Am 10. Mai sagte es ihm seine Frau unter Schluchzen. Ich dacht mich selbst zu verlieren, schrieb er an Zelter, und verliere nun einen Freund und in demselben die Hälfte meines Daseins. Abgesehen von diesen Unmöglichkeiten ging dieser starke Toback sogar den Lesern der Turnzeitung auf die Nerven. Daher fand sich bereits in der nächsten Nummer ein berichtigender Artikel. Unbelehrbar allerding blieb der Ludendorff-Kreis, der diese widersinnige These in zahlreichen Publikationen immer wirder aufwärmte und feststellte: Mozart wie Luther, Lessing, Schiller und gar manch andere Gemordete werden zum Retter des Volkes vor der Pest der Geheimorden, die sich ein Recht anmaßen zu morden, wenn ihre verbrecherischen Geseztze, die den Tempel Salomos, das heißt die Judenschaft errichten sollen, ihnen das erlauben!

XI. Schlussbemerkungen

Ich komme zum Schluß: Unser Namenspatron , der nur 46 Jahre alt gewordene Friedrich Schiller steht für den Glauben an die moralische Kraft des Menschen, für Nationalgefühl, Freiheitsliebe und sittliche Größe. Seine dramatische Hinterlassenschaft läßt vergessen, daß er auch Novellist, Philosoph und Historiker von Rang war. Nach seiner geistigen und ethischen Grundeinstellung könnte er sehr gut dem Freimaurerbund angehört haben. Obschon eine formale Mitgliedschaft Schillers im Freimaurerbund aufgrund der gegenwärtigen Quellenlage dokumentarisch nicht zweifelsfrei nachzuweisen ist, steht fest, daß er zeitlebens fast leidenschaftlich maurerische Postulate vertreten hat, die sich für ihn am deutlichsten in dem Begriff Gedankenfreiheit und in der Devise: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit äußerten.

Die unterlassene Eintragung in die Logenmatrikel spricht eindeutig nicht gegen eine mögliche Aufnahme, sondern eher dafür; eine Art Vorbeugung, um den bereits schon sehr bekannten Dichter vor möglichen Nachteilen zu schützen, da nach dem Ausbruch der Französischen Revolution eine Art Verschwörerhysterie ausgebrochen war, zumal Schiller von der neuen französischen Regierung zu einem Ehrenbürger der französischen Republik erklärt worden war. Diese Hysterie gipfelte in sogenannten Jakobinerprozessen, der zahlreiche ehemalige aktive Freimaurer zum Opfer fielen, die teilweise zu schwersten Strafen verurteilt wurden.